Vidocq

Cover Vidocq Vidocq
Darsteller (u.a.):  Gérard Depardieu, Guillaume Canet, Inés Sastre, André Dussollier, Edith Scob, Moussa Maaskri, Jean-Pierre Gos, Isabelle Renauld, Jean-Pol Dubois, André Penvern, Gilles Arbona
Regie: Pitof
Drehbuch: Jean-Christophe Grangé und Pitof
Kamera: Jean-Pierre Sauvaire und Jean-Claude Thibaut
Ausführende Produzenten: Dominique Farrugia und Olivier Granier
Musik: Bruno Coulais
Frankreich 2001

Normalerweise verbindet mich mit französischen Filmen keine Freundschaft, da diese in den letzten Jahren allzu oft gezwungen intellektuell daherkommen und oftmals derart selbstverliebt in Anspruch und Schauspielerei sind, dass die Unterhaltung deutlich zu kurz kommt. Dass es auch anders geht bewies Regisseur Christophe Gans mit seiner Anime-Adaption »Crying Freeman« und natürlich mit seinem Kostüm-Actionfilm »Der Pakt der Wölfe«. In diese Reihe passt sich »Vidocq« des Regisseurs Pitof nach einem Drehbuch von ihm und Jean-Christophe Grangé perfekt ein.
Bereits in der Anfangssequenz wird man am Arm gegriffen und beinahe gewaltsam hinein gerissen in einen Film, der nicht nur vor visuellen Effekten strotzt, sondern gerade trotz CGI auch viel Wert auf Stimmung, Farbkomposition, ungewöhnliche Kamerapositionen und nicht zuletzt eben auch Schauspiel legt, ohne dabei jedoch eben über letzterem das oben angesprochene Ziel zu vergessen: Zu unterhalten.
 

Paris 1830

Wie bereits gesagt, die Anfangssequenz lässt dem Zuschauer wenig Luft zum Atmen, in einer tour de force von düsteren Farben und stakkatoartigen Schnitten wird man durch die Pariser Katakomben der Glasbläser geschliffen, die der Protagonist (eben jener Privatermittler mit dem Namen Vidocq) durcheilt, offenbar jemanden verfolgend oder suchend. In einer Halle kommt es zur Konfrontation mit dem Gesuchten, einer Art Phantom in weitem Mantel, das sein Gesicht hinter einem Spiegel versteckt. Nach einigen Kampfszenen, die schlichtweg wunderbar gestaltet und choreographiert wurden, kommt Vidocq zu Tode...

Im restlichen Film versucht der junge Journalist Etienne - der Vidocqs Biographie schreiben wollte - herauszufinden, was in den letzten beiden Wochen geschah und welche Geschehnisse zum Tode des Detektivs geführt haben.
Ohne hier jetzt zu viel von der Handlung erzählen zu wollen, dreht sich der Film um Intrigen, Laster und Wahnsinn im Frankreich des Jahres 1830, einer ohnehin unruhigen Zeit, in welcher dann auch noch ein gesichtsloses Phantom sein Unwesen treibt und hochrangige Staatsbeamte auf merkwürdige und mysteriöse Art und Weise tötet. Handelt es sich um einen maskierten Rächer, oder um ein übernatürliches Phänomen, einen Rachegeist? All das findet der Zuschauer zusammen mit den Charakteren des Films mit der Zeit heraus.

Den Darstellern des Werks muss man schlichtweg grandiose Darstellungskunst attestieren, daran gibt es keinen Zweifel. Was hier für ein Panoptikum, für eine Variation an Typen aufgeboten wurde, das geht in dieser Massierung offenbar tatsächlich nur in einem französischen Streifen. Mal abgesehen von einem grandiosen Depardieu, dem man den Spaß an diesem Film und dem knorrigen Charakter des Vidocq deutlich anmerkt, sind es gerade die zahlreichen Nebendarsteller, die die bizarre Unwirklichkeit und Skurrilität des Streifens noch deutlich unterstützen.
Dennoch wurde neben der Charakterbesetzung aber eben auch sehr großes Augenmerk auf die visuelle Umsetzung und Ästhetik der Geschichte gelegt, die mit ihren düsteren Sepia- und Ockertönen, mit ihren bedrückenden Szenarien und eigenwilligen Kameraperspektiven eine Stimmung zaubert, der man sich nur schwer zu entziehen vermag. Nicht umsonst dauerte die Drehzeit drei Monate, die Nachbearbeitungszeit erstreckte sich jedoch auf über ein Jahr. Man verstehe mich nicht falsch, bis auf wenige Stellen wird man nicht mit der Nase auf die computergenerierten Effekte gestoßen, vielmehr werden sie meist höchst subtil als Stimmungsmacher eingesetzt. Wofür früher Verlauffilter Verwendung fanden, nutzt man heutzutage halt computergestützte Koloration. Unterstützt und verstärkt wird das Ganze noch durch den ein- aber nie aufdringlichen Soundtrack von Bruno Coulais.

Ich bin mir nicht sicher, ob Actionfreunde wirklich glücklich mit diesem Film werden, denn neben eigentlich eher wenigen (ungewöhnlich realisierten und allein deshalb bereits gelungenen) Actionszenen und ein paar stakkatoartig geschnittenen Schockersequenzen legt »Vidocq» auch überaus viel Wert auf Bildsprache, die Ansichten des Molochs Paris und seiner Bewohner im Jahr 1830 zeigt, und lässt sich erfreulich viel Zeit für Charakterinteraktion und Motivationssuche.
Das Erstlingswerk des Regisseurs Pitof, der bislang hauptsächlich als Visual Effects Director in Filmen wie »Alien - Resurrection« (1997) oder »The Messenger: The Story of Joan of Arc« (1999) in Erscheinung trat, hat es in vielerlei Hinsicht in sich und seine Umsetzung des Stoffes, der übrigens bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts verfilmt wurde (allerdings hat diese Fassung damit kaum noch etwas gemein),  hat sicherlich dafür gesorgt, dass ihm  nach Vidocq die Realisierung von »Catwoman« angedient wurde. Na gut, was daraus wurde, wissen wir, breiten wir das Mäntelchen des Schweigens darüber... Aber Pitof wird in
»Empires Of The Deep« (geplanter Kinostart 2010) zum Genre zurückkehren, hier spielt Monica Bellucci die Königin der Meerjungfrauen, vielleicht darf er da ja wieder, wie er möchte.

Abschließend möchte ich diesen Kostümgrusler mit kleinen Splatter-Anleihen jedem Genre-Fan ganz besonders ans Herz legen, auch wenn sich die Story gegen Ende etwas schnell und eigenartig löst und Nörgler sicherlich ein paar logische Fehler entdecken werden, aber das tut dem Gesamtkunstwerk keinerlei Abbruch. Überaus schade, dass dieses Meisterwerk hier nie in den Kinos zu sehen war (es erschien in Deutschland ausschließlich als Videopremiere auf Band und DVD), denn der brachiale Eindruck auf einer grossen Filmleinwand muss gewaltig sein. Wenn das die Art und Weise ist, wie Frankreich jetzt Filme dreht,
dann sollte Hollywood sich warm anziehen (dieser Artikel wurde in seiner Ursprungsfassung 2004 geschrieben und für den Zauberspiegel überarbeitet, Anm. des Verfassers).

Fazit: Vidocq hebt sich wohltuend vom amerikanisch dominierten Horror- und Grusel-Einerlei ab, sei es nun Mainstream oder Independent. Absolut sehenswert!

Trailer (leider ist die Qualität eher schlecht, man kann im Web aber bessere finden.):

{vidocq}


Nachwort: Wie ich bereits kurz anmerkte, schrieb ich diese Rezension im Jahr 2004, als der Film auf Video und DVD viel zu spät in Deutschland erschien. Heute – vier Jahre später – kann man ihn natürlich für recht kleines Geld käuflich erwerben, Amazon beispielsweise sagt nur 6,95 Euro dafür an. Und das ist er für den Genre-Freund allemal wert, wenig Geld für einen gleichsam anspruchsvollen und unterhaltsamen Film.

Kommentare  

#1 Mainstream 2009-01-05 18:01
-
ZUSTIMMUNG IN ALLEN PUNKTEN.

Naja, fast. Hollywood musste sich leider nicht warm
anziehen. Aber als dann PAKT DER WÖLFE kam, war
ich mir sicher ein Umbruch, zumindest im europäischen
Kino würde stattfinden.
Wieder nichts. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
#2 Stefan Holzhauer 2009-01-05 18:53
Leider. Die Welle an grandiosen phantastischen oder phantastisch angehauchten Filmen aus Frankreich blieb leider aus, obwohl die drei genannten ("Vidocq", "Pakt der Wölfe" und "Crying Freeman") hoffen ließen und auch "Die purpurnen Flüsse" I & II ansprechend waren (aus denselben Gründen, Inszenierung, Farbgebung, charakterintensive Darstellungen). Leider waren aber alle diese Filme keine Kassenschlager, deswegen wollte wohl niemand mehr Geld dafür ausgeben. So wird das mit dem europäischen Film nie was. Leider wird immer wieder entweder zuviel Wert auf Anspruch und erhobenen Zeigefinger gelegt und die Unterhaltung darüber vergessen oder aber man produziert weitestgehend unwitzige Komödien (Deutschland und Frankreich sind da ja stark) oder unerträgliche Lizenzproduktionen (Asterix Realfilme).
#3 Mainstream 2009-01-05 20:10
-
PURPURNEN FLÜSSE hab ich total vergessen.
Großer Fehler. Wahnsinnig guter Film, zumindest der Erste.

Die Schuld ist eindeutig beim Zuschauer zu suchen.
Das europäische Publikum ordnet sich vollkommen
der Werbung unter und gibt seine Selbstbestimmung
ungefragt auf.

Genannte Film sind durchaus in die sogenannte Mainstream
Kategorie einzuordnen. Aber anstatt sich auf einen
'anspruchsvolleren' Film einzulassen, konsumiert man
Mangelware. Die Beschwerden sind hinterher immer
groß, die Konsequenzen aber gering. Beim nächsten
Kinostart geht alles von vorne los.
Schau doch mal den UNGLAUBLICHEN HULK: Da wird
unverfroren der selbe Scheißdreck dem selben Publikum
noch einmal untergejubelt. Und dann wundert sich dieser
mündige Zuschauer, warum dieser zweite Aufguss
auch nich' so dolle war.
#4 horror1966 2009-01-05 22:31
Auch ich bin der Meinung, das die von Euch aufgezählten Filme zu den besten gehören, die das europäische Kino hervorgebracht hat und man kann nur hoffen, das auch in nächster Zeit wenigstens einige Filme dieser Art folgen werden.

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