Nassise, Joseph: Der Schattenseher - Die Hunt-Chroniken 1
Im Zentrum des Buchs steht der Ich-Erzähler Jeremiah Hunt, dessen Tochter fünf Jahre vor Beginn der Handlung spurlos verschwunden ist. Die Polizei, die Medien, Hunts Ex-Frau, alle halten Elisabeth für tot. Nicht so Hunt, der noch immer all seine Kraft darauf verwendet, seine Tochter zu finden und dabei auch vor ungewöhnlichen Maßnahmen nicht zurückschreckt. In seiner Verzweiflung wendet er sich okkulten Riten zu und darf feststellen, dass diese alles andere als bloße Phantastereien sind.
Im Zuge seiner
Spurensuche hat Hunt erfahren müssen, dass die Legenden von
Geistern, Dämonen und anderen Kreaturen der Finsternis beileibe
nicht bloß ins Reich der Phantasie gehören. Seitdem er in einem
unheimlichen Ritual sein Augenlicht gegen die Gabe, die wahre Natur
der Welt zu erkennen, eingetauscht hat, weiß er um das Vorhandensein
übernatürlicher Erscheinungen.
Hunt nutzt seiner Fähigkeit, die Geister Verstorbener sehen und mit ihnen kommunizieren zu können, indem er sich als Privatdetektiv und Berater für das Boston PD verdingt. Mit den Erlösen aus diesen Jobs finanziert er seine unermüdliche Suche nach Elisabeth.
Sein neuster Fall führt ihn in die reicheren Viertel Bostons, wo ein brutaler Serienkiller umgeht. Die Taten stellen die Polizei vor ein Rätsel, finden sich doch keine Spuren auf einen möglichen Täter. Da das Interesse der Medien an dem Fall hoch ist und somit rasche Ermittlungsfortschritte vonnöten sind, bittet der zuständige Detective Hunt um Hilfe. Eher halbherzig macht dieser sich an die Arbeit bis er an einem Tatort auf etwas stößt, das den Killer mit dem Verschwinden seiner Tochter in Verbindung bringt...
Viel zu oft kommt es vor, dass man als erwachsener Leser Mühe hat, Romane, deren Handlung sich um magische Rituale, Hexerei und ähnliches dreht, ernst zu nehmen. Auf »Der Schattenseher« trifft dies allerdings in keinster Weise zu. Nassise ist es gelungen, einen packenden Thriller zu schreiben, der von der ersten bis zur letzten Seite voll zu überzeugen weiß.
Nassise hat im Grunde alles richtig gemacht. Dies trifft insbesondere auf die Darstellung der Protagonisten zu. Nicht nur, dass sie samt und sonders mit prägnanten Wesenszügen ausgestattet sind, die sie ungemein lebendig wirken lassen. Darüber hinaus ist ihm auch die Konstellation der Figuren vortrefflich gelungen. Auf die üblichen Klischees hat der Autor fast vollständig verzichtet und sich stattdessen Gedanken um originelle Beziehungen der Protagonisten untereinander gemacht.
Die Story an sich überzeugt durch ihre Ernsthaftigkeit, die gelungene Mischung aus phantastischen und realen Elementen sowie durch ihr hohes, aber nie übertrieben wirkendes Erzähltempo. Allen voran die Art und Weise, wie Hunts Situation (sein Zurechtkommen mit dem spurlosen Verschwinden Elisabeths) und der sich daraus ergebende Handlungsrahmen geschildert werden, ist brillant: Eindringlich, emotional, aber niemals kitschig oder rührselig.
Sehr schön ist auch die Darstellung der übernatürlichen Bestandteile des Buchs. Nassise ist es gelungen, diese mit der notwendigen Nüchternheit zu beschreiben, sodass sie, anders als dies sonst oft der Fall ist, nicht übertrieben oder gar lächerlich wirken. Der Leser nimmt sie vielmehr als ernst zu nehmende Bestandteile der Handlung wahr, was besonders dem Gefühl der Bedrohung, welches von den finstereren Gesellen ausgeht, zuträglich ist.
Eine besondere Eigenart der Handlung ist die, dass das eigentliche Geschehen immer mal wieder von Rückblenden unterbrochen wird, in denen Hunt, angefangen mit dem Verschwinden seiner Tochter, berichtet, wie er zu dem wurde, der er heute ist. Häufig, wenn dieses Stilmittel zum Einsatz kommt, empfinde ich es als störend, weil es den Fluss der Handlung zerreißt. Nicht so um Falle von »Der Schattenseher«. Die Rückblenden fügen sich ideal in die Gesamthandlung ein und komplettieren das Bild, das sich der Leser nach und nach von Hunt macht.
Mit »Der Schattenseher« hat Joseph Nassise einen hervorragenden Urban Fantasy-Roman vorgelegt, der in jeglicher Hinsicht zu begeistern weiß. Das vorzüglich in Szene gesetzte Werk ist die ideale Lektüre für alle, die Romane wie die »Dresden-Files« von Jim Butcher zu schätzen wissen. Kein Zweifel: Der Auftakt der »Hunt-Chroniken« ist das bislang beste Buch aus dem Hause des noch jungen PAN-Verlags. Hoffentlich lässt die Fortsetzung (auch wenn sie im Grunde nicht zwangsläufig notwendig ist, ist der Roman doch im Großen und Ganzen in sich abgeschlossen) nicht allzu lange auf sich warten.
Kommentare
Wo bleibt da die gepriesene Vielfalt bei den großen Verlagshäusern?