Ein Wort
Ein Wort
Nun stolperten die Menschen darüber hinweg, ohne es zu sehen.
Nicht einer bückte sich danach, nicht einer interessierte sich für das kleine Wort.
Alice war von ihrer Mutter von Geschäft zu Geschäft gezogen worden, den ganzen Tag lang.
Sie war müde, ihre Beine schmerzten vom vielen Gehen.
Ihre Mutter stand ein paar Schritte von ihr entfernt und redete mit einer Bekannten. Sie trug ein halbes Dutzend Taschen bei sich und brachte es trotzdem irgendwie fertig, wild mit den Händen zu gestikulieren.
Alice seufzte und blickte wieder auf die Pflastersteine, wo das verlorene Wort lag.
Sie war neugierig.
Was es wohl für ein Wort war?
Alice mochte Wörter. Sie liebte es, ihnen zu lauschen. Oder sie zu schmecken. Aber sie hatte noch nie ein Wort besessen. Und da lag nun eines, das scheinbar niemandem mehr gehörte.
Sollte sie es vielleicht aufheben ?
Bestimmt fühlte es sich verloren, so alleine auf der Straße, im Dreck, halb zertrampelt.
Sie bückte sich und nahm es vorsichtig in die Hände.
Sanft entfernte sie den gröbsten Schmutz und
Überrascht blickte sie es genauer an.
Es war ein erstaunliches Wort.
Es war bunt wie ein Regenbogen und trotzdem schwarz.
Es war leichter als eine Feder, doch schien es bleischwer.
Alice hielt es sich ans Ohr und lauschte.
Sie hörte Lachen und Weinen zugleich.
Schreie voller Freude und solche voller Schmerz.
Das sanfteste Klavierspiel neben dem vollen Klang eines mächtigen Orchesters.
Wie es wohl schmecken würde ?
Es schmeckte süß wie Honig zuerst.
Noch einmal kostete sie davon.
Nein da war nichts Süßes.
Sie verzog das Gesicht über die Bitterkeit, die auf ihrer Zunge lag.
Dann lächelte sie trotzdem.
Was für ein seltsames, wunderliches Wort!
Sie blickte nach links, dann nach rechts.
Ihre Mutter war immer noch in die Unterhaltung vertieft.
Und niemand beachtete das kleine Mädchen, das mitten auf der Straße stand und ein Wort in den Händen hielt.
Alice steckte es sich vorsichtig in die Hosentasche.
Ganz bestimmt würde sie es behalten, ihr erstes Wort.
Ihr erstes und vielleicht schönstes Wort.
Lächelnd formte sie es mit den Lippen:
Leben.
Alice war 96 Jahre alt, als sie ihr erstes Wort wiederfand.
Es steckte in der Schublade ganz unten in einer alten Kommode und war verstaubt, fast verblasst.
Sie entfernte mit den zitternden Händen vorsichtig die Staubschicht und blickte es an.
Ein Lächeln huschte über das faltige Gesicht.
Leben, formten die vom Sprechen müden Lippen.
Ein letztes Mal lauschte Alice den Melodien, ein letztes Mal schmeckte sie das kleine Wort.
Dann ging sie langsam zum Fenster und schenkte es dem Wind, bevor sie sich schlafen legte.
Nicht einer bückte sich danach, nicht einer interessierte sich für das kleine Wort.
Alice war von ihrer Mutter von Geschäft zu Geschäft gezogen worden, den ganzen Tag lang.
Sie war müde, ihre Beine schmerzten vom vielen Gehen.
Ihre Mutter stand ein paar Schritte von ihr entfernt und redete mit einer Bekannten. Sie trug ein halbes Dutzend Taschen bei sich und brachte es trotzdem irgendwie fertig, wild mit den Händen zu gestikulieren.
Alice seufzte und blickte wieder auf die Pflastersteine, wo das verlorene Wort lag.
Sie war neugierig.
Was es wohl für ein Wort war?
Alice mochte Wörter. Sie liebte es, ihnen zu lauschen. Oder sie zu schmecken. Aber sie hatte noch nie ein Wort besessen. Und da lag nun eines, das scheinbar niemandem mehr gehörte.
Sollte sie es vielleicht aufheben ?
Bestimmt fühlte es sich verloren, so alleine auf der Straße, im Dreck, halb zertrampelt.
Sie bückte sich und nahm es vorsichtig in die Hände.
Sanft entfernte sie den gröbsten Schmutz und
Überrascht blickte sie es genauer an.
Es war ein erstaunliches Wort.
Es war bunt wie ein Regenbogen und trotzdem schwarz.
Es war leichter als eine Feder, doch schien es bleischwer.
Alice hielt es sich ans Ohr und lauschte.
Sie hörte Lachen und Weinen zugleich.
Schreie voller Freude und solche voller Schmerz.
Das sanfteste Klavierspiel neben dem vollen Klang eines mächtigen Orchesters.
Wie es wohl schmecken würde ?
Es schmeckte süß wie Honig zuerst.
Noch einmal kostete sie davon.
Nein da war nichts Süßes.
Sie verzog das Gesicht über die Bitterkeit, die auf ihrer Zunge lag.
Dann lächelte sie trotzdem.
Was für ein seltsames, wunderliches Wort!
Sie blickte nach links, dann nach rechts.
Ihre Mutter war immer noch in die Unterhaltung vertieft.
Und niemand beachtete das kleine Mädchen, das mitten auf der Straße stand und ein Wort in den Händen hielt.
Alice steckte es sich vorsichtig in die Hosentasche.
Ganz bestimmt würde sie es behalten, ihr erstes Wort.
Ihr erstes und vielleicht schönstes Wort.
Lächelnd formte sie es mit den Lippen:
Leben.
***
Alice war 96 Jahre alt, als sie ihr erstes Wort wiederfand.
Es steckte in der Schublade ganz unten in einer alten Kommode und war verstaubt, fast verblasst.
Sie entfernte mit den zitternden Händen vorsichtig die Staubschicht und blickte es an.
Ein Lächeln huschte über das faltige Gesicht.
Leben, formten die vom Sprechen müden Lippen.
Ein letztes Mal lauschte Alice den Melodien, ein letztes Mal schmeckte sie das kleine Wort.
Dann ging sie langsam zum Fenster und schenkte es dem Wind, bevor sie sich schlafen legte.
~ Fin ~
Kommentare
Hier ist ein Kleinod von einer jungen Dame online gestellt worden, das es echt verdienen würde, von euch allen gelesen - und bedacht zu werden.
Vielleicht gerade jetzt in der Adventszeit, die die ruhigste, besinnlichste Zeit des Jahres sein soll - wie man ja auch allerorts sehen kann ...
Ich kann euch nur empfehlen, lest es und lasst es auf euch einwirken. Aber Vorsicht, es könnte euch verzaubern, zumindest nachdenklich machen ...
Ich jedenfalls wünsche der jungen Autorin eine besinnliche Adventszeit, frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr - und noch viele weitere Geschichten, die sie uns schenken kann.
Auch die Geschichten "Herz warum..." und "Strichmännchen" sind ganz toll. In dem Punkt freu ich mich schon auf mehr von Sarah.
Danke für den Hinweis! Sarah schreibt wirklich tolle Geschichten.